Beratungsklau — was tun?

iStock_000003944811XSmallKürzlich wurde ich gefragt, was ich als Mittel gegen den sogenannten Beratungsklau vorschlage. Unter Beratungsklau versteht man das Kundenverhalten, sich kostenlos beraten zu lassen, um dann woanders zu kaufen. Im Ausgangsszenario geht es um eine Beratung von einem Ehepaar in einem Fachgeschäft für Sport- und Laufschuhe.

Die Beratung, inklusive einer Laufbandanalyse für beide potenziellen Kunden, endete mit der Ansage der Kunden, dass diese sich das Ganze noch einmal überlegen, um dann später noch einmal wiederzukommen – und weg waren sie … und kamen natürlich nicht wieder.

Wo steckt der Fehler und was kann man dagegen tun?

Der Fehler steckt von Anfang an im System. Wenn ein Geschäft, egal ob online oder offline, von Anfang an darauf aufgebaut ist, dass potenzielle Kunden ins Geschäft kommen, sich beraten lassen und vielleicht kaufen, dann braucht es niemanden zu wundern, wenn genau DAS passiert. Es ist somit immer besser, gleich von Anfang an das Geschäft so aufzubauen, dass gezielt Interessenten von Un-Interessenten getrennt werden. Das Ziel sollte dabei immer sein, dass vorwiegend nur die eine ausführliche Beratung bzw. Behandlung bekommen, die auch kaufen können und wollen – soweit die Theorie.

Noch einmal zurück zum Beispiel: Es geht um Sportschuhe, ein Spezialgeschäft für Läufer und eine ausführliche Beratung. Hier haben wir oberflächlich betrachtet schon das erste Problem. Das Produkt ist, zumindest auf den ersten Blick für einen Nichtfachmann, beliebig, austauschbar und natürlich auch über das Internet bestellbar. Einige Markenhersteller achten zwar mittlerweile sehr streng darauf, dass alle Händler das aktuelle Sortiment zum gleichen Festpreis verkaufen. Doch trotz drakonischer Strafen halten sich nicht alle daran. Außerdem, zumindest von der Wahrnehmung her, glauben manche Kunden eben doch, dass sie es woanders etwas billiger bekommen. Das Kunden hier nicht selten einer getäuschten Wahrnehmung zum Opfer fallen wissen wir — oft auch aus eigener Erfahrung. Doch das nützt dem einzelnen Händler herzlich wenig, wenn er berät, am Ende aber dann doch in eine leere Kasse starrt.

Fazit: Die aktuelle Situation ist oft so, dass Beratung da geholt wird, wo sie gut ist, um dann dort zu kaufen, wo es gefühlt (etwas) billiger ist.

Das ist eine echte Herausforderung und für manchen Händler ein richtiges Problem. Die Festpreisstrategie verhindert das zumindest zum Teil. Somit ist das sicher ein kleiner Anfang, doch es muss noch mehr verändert werden, um den Beratungsklau weiter zu minimieren.

Eine weitere Strategie sind Flagshipstores, also eigene Geschäfte der Markenanbieter. Auch das funktioniert sehr gut, denn Kunden tauchen hier in emotionale Themen- und Markenwelten so ein, dass hier schon Interessenten von Un-Interessenten getrennt werden. Allerdings ist gefühlt hier die Beratung manchmal nicht ganz so optimal und individuell wie zum Beispiel in einem Laden für Läufer, der vielleicht auch noch von einem ambitionierten Läufer selbst betrieben wird. Das eine ist eben Teil eines Geschäftsmodells bzw. dient der Markenbildung, das andere ist eine Herzblutangelegenheit. Außerdem haben ortsansässige Händler auch nichts davon, wenn Kunden in Flagshipstores abwandern. Somit ist das zwar für die Marke gut, doch der Handel braucht eine andere Lösung.

Der Prozess, um Interessenten von Un-Interessenten zu trennen

Was kann man nun also tun, um den Beratungsklau zu vermeiden oder zumindest deutlich zu reduzieren? Nun, es kommt immer darauf an.

Vorab ein Hinweis:  Hier kann kein universelles Patentrezept für höchst individuelle Herausforderungen skizziert werden. Im Einzelfall gilt es immer Unternehmen, Verkaufsraum (online oder offline), Kunden und alle relevanten Schnittstellen zwischen Unternehmen und Kunden genau anzuschauen, um den Kaufprozess neu auszurichten, so dass hier …

  1. gezielt Interessenten von Un-Interessenten getrennt werden,
  2. dem Kunden gewisse Hürden in den Weg gestellt werden,
  3. er eine oder mehrere kleinere Entscheidungen vorab treffen muss,
  4. das gesamte Verkaufs- und Beratungsgespräch so in einem Konzept eingebettet wird, dass
  5. der eigentliche Kauf am Ende als logische Konsequenz im Raum steht.

Lassen Sie mich dieses Prinzip näher an folgendem Beispiel illustrieren.

Der Zauber liegt im Raum nebenan

In Jugendjahren habe ich mich sehr für die Zauberkunst interessiert. In Berlin gab es hier praktisch zwei Anlaufstellen. Zum einen den Zauberkönig in der Hermannstraße und die Zauberzentrale in der Friedrichstraße 17 (damals noch, vor dem Mauerfall, auf der West-Seite — die älteren Semester erinnern sich ;-).

Die Zauberzentrale wurde zu meiner Zeit von Peter Ülzmann betrieben. Für ihn war es mehr ein Hobby, weshalb der Laden nur an Samstagen von 10 bis 15 Uhr geöffnet war. Es war der Treffpunkt der Zauberszene in Berlin und somit auch immer gut besucht.

Der Hauptpräsentationsraum war ein großes Wohnzimmer. Dieses war bis unter die Decke vollgestopft mit Requisiten, chromglänzenden Utensilien und bunten Tüchern. Egal wo man hinsah, es gab immer etwas zu entdecken. Die Kunden saßen auf bequemen Sesseln und Sofas, fragten, erzählten, staunten und kauften am Ende. Das alles hatte natürlich System, denn Peter Ülzmann war ein genialer Verkäufer der ganz genau wusste, was er tat — das Verkaufen lag ihm einfach im Blut. Er hatte ein Konzept beim Verkaufen und alles folgte einem immer gleich ablaufenden System … es war SEINE Show. Und so lief das Programm ab.

Jeder neue Kunde suchte sich einen bequemen Platz und bekam beiläufig einen Korb vor die Füße gestellt. Das war der erste Schritt. Danach ging es praktisch Schlag auf Schlag.

Man redete, es wurden neue Zauberkunststücke gezeigt, hier und da wurde mal etwas aus einer Ecke gezogen, neue Wunder aus Übersee wurden präsentiert und so ging es dann die ganze Zeit weiter. Es war wie ein kleiner Jahrmarkt im Wohnzimmer, auf dem sich Wunder an Wunder reihte, und sich nach und nach die Körbe der Kunden füllten. Praktisch blieb nie ein Korb leer. Es gab immer etwas zu kaufen, ohne das der Besitzer und Präsentator etwas verkaufen musste. Man hat es ihm praktisch direkt so aus den Händen gerissen und einfach abgekauft.

Das war der zweite Schritt seiner Verkaufsstrategie — quasi Verkaufen für die Masse. Doch es gab noch einen anderen Raum für den dritten Schritt. In diesem konnte man die großen Wunder bestaunen. Doch in diesem Raum ist praktisch kaum einer hineingekommen. Vielmehr musste man dafür bereit sein. Man sollte schon recht genau wissen, was man will. Vor allem musste man auch bereit und in der Lage sein, um zu kaufen. In diesem Raum fand dann die individuelle Beratung statt. Hier konnte man größere Sachen selbst ausprobieren und am Ende, wenn alles passt, wurde auch gehandelt und gekauft … IMMER!

Sie sehen, Verkaufen braucht ein System, sollte einer klaren Strategie folgen, potenzielle Kunden an die Hand nehmen und natürlich VERKAUFEN zum Ziel haben.

Alter Wein in neuen Schläuchen ist immer noch genießbar

Ich denke gerne an diese Zeit zurück. Dabei wird folgendes klar: Was heute als Sales Funnel, also Verkaufstrichter, als so neu daherkommt, ist eine uralte Sache. Das war schon auf frühen Jahrmärkten so. Auch auf einigen Märkten ist das heute noch immer so — vorne der Anreißer, der die Masse zieht, hinten oder an der Seite wird verkauft.

Natürlich, Top-Verkäufer kennen das. Kunden werden Schritt für Schritt durch einen Prozess geführt. Hier eine Information, da ein kleiner Schritt, nun eine Hürde, hier ein Testabschluss, dann kaufen sie eine Kleinigkeit und bei all dem lernt man sich so besser kennen. Nach und nach entsteht eine Verbindung und Vertrauen wird aufgebaut. Am Ende ist es das alte Lied der 5, 7 oder 10 Kontakte, die es bis zum großen Abschluss braucht.

Das funktioniert, man muss zuerst nur eine ganz klare Entscheidung treffen, indem man folgende Fragen für sich beantwortet:

  • Welche Kunden will man WIRKLICH haben und beraten?
  • Wer sind wir mit all unseren Angeboten, Produkten, Lösungen und Leistungen?
  • Was machen wir?
  • Was hält unsere Kunden nachts wach und lässt sie sorgenvoll an die Decke starren?
  • Wofür stehen wir als Unternehmen und was haben unsere Kunden davon, dass es uns gibt?
  • Wie sollen wir in den Erzählungen unserer Kunden auftauchen?

Dann muss man auf Basis der vorliegenden Antworten einen entsprechenden Verkaufs- und Beratungsprozess aufsetzen, bei dem der Verkauf am Ende als logische Konsequenz steht.

In Online-Business kennen wir das. Es ist eine kleine Website, die nur aus einer Seite besteht und ein Produkt, eine Lösung oder meist nur eine einzige Idee verkauft. Im Grunde genommen wird so nur ein einziges Problem für eine klar umrissene Zielgruppe auf einmalige Art und Weise auf den Punkt gebracht und gelöst. Ganz einfach, direkt und ohne irgendwelche Umwege.

Dabei folgt eine solche Seite natürlich auch einer konkreten Strategie. Man bekommt Informationen, oft ein Video oder eine gesprochene Nachricht. So erfährt man mehr über die Lösung. Man kann herausfinden, ob diese für einen selbst passt — oder auch nicht. Hier gibt es schon die erste Hürde, denn der potenzielle Kunde muss an diesem Punkt etwas Zeit und Durchhaltevermögen investieren.

Die nächste Hürde ist dann zum Beispiel die Anmeldung in einen Verteiler. Oft bekommt man dann hier ein E-Book, Hörbuch oder ein Video als Download und Dankeschön für das entgegengebrachte Vertrauen bzw. die investierte Zeit. Dann geht der Prozess Schritt für Schritt weiter, bis hin zu einem großen Angebot.

Auch im Offline-Business, also zum Beispiel einem Ladengeschäft, gibt es diese Strategien. Meist sind diese dort etwas subtiler, so dass sie kaum auffallen.  Nehmen Sie sich doch selbst einmal etwas Zeit und beobachten Sie Menschen in einem Ladengeschäft. Praktisch alle erfolgreichen Verkaufsräume haben einen klar strukturierten Aufbau und einen sehr klar strukturierten Prozess, um Interessenten von Un-Interessenten zu trennen.

Der Verkauf beginnt dabei schon im Eingangsbereich. Vielleicht kennen Sie ja das Gefühl beim Betreten eines Geschäfts. Bei dem einen fühlen Sie sich wohler als bei einem andren. Wie schon gesagt, meist ist das gewollt, um so ganz gezielt und bewusst Interessenten von Un-Interessenten zu trennen. Bei unerfahren Geschäftsbetreibern ist es aber oft nur ein Unfall — man betritt das Geschäft, möchte eigentlich kaufen, aber irgendetwas treibt einen wieder ein unbestimmtes Gefühl nach draußen. Doch es geht auch anders.

So werden Kunden zu Hürdenläufern

Versuchen Sie mal in einem Apple-Store eine ausführliche Beratung zu bekommen. Das geht so nebenbei fast nie. Eine Kurzberatung … eventuell, doch wenn es ins Detail geht, müssen Sie einen Termin vereinbaren. Natürlich verärgert Apple hier unter Umständen den einen oder anderen potenziellen Kunden, doch Apple hat extrem gute und aussagekräftige Webseiten. Die Kunden informieren sich hier im Vorfeld doch sowieso. Wenn es dann noch weitere Fragen gibt, dann können diese im Geschäft auch direkt geklärt werden — allerdings muss hierfür zuerst ein Termin vereinbart werden. Doch wenn der Kunde schon an diesem Punkt ist, dann ist der eigentliche Kauf/Verkauf am Ende nur noch eine reine Formsache. Ein Kunde, der zuerst über diese Hürden gegangen ist, kauft auch — meistens. Nicht umsonst ist Apple, vom Umsatz pro Quadratmeter her, das führende Handelsunternehmen. Irgendetwas müssen sie also wohl richtig machen.

Und so könnte es funktionieren

Kommen wir zum Schluss zurück zum Sportfachgeschäft. Grundsätzlich stellt sich hier zuerst die Frage, ob die Verkaufsstrategie und die Abschlusstechnik fehlerhaft war. Möglich … vielleicht sogar sehr wahrscheinlich. Doch versteckt sich der grundlegende Fehler an einer ganz anderen Stelle. Meist ist das Geschäft, von der Ladentür aus gesehen, falsch aufgebaut. Es gibt keine Struktur und kein System, das Kunden magisch in das Geschäft hineinzieht, gezielt Interessenten von Un-Interessenten trennt und Kunden systematisch durch einen Erlebnis- und Entscheidungsprozess führt.

Mein spontaner Vorschlag für das Sportschuhfachgeschäft wäre, dass das Geschäft in mindestens zwei Zonen aufgeteilt wird. Zu Beginn eine Zone, in der sich Kunden einfach umschauen können. Hier findet keine, oder nur eine ganz kurze, Beratung stattfindet. Wenn der Kunde eine ausführliche Beratung und eine Laufbandanalyse etc. wünscht, dann muss er sich hierfür auf die eine oder andere Art und Weise qualifizieren. Er muss zum Beispiel zuerst eine Art Bewerbungsformular ausfüllen, einen Termin vereinbaren, ein Club-Mitglied werden oder ähnliches. Hier gibt es viele Möglichkeiten, die einzeln ausgetestet werden müssen. Klar, man braucht schon etwas Mut und hin und wieder auch breite Schultern, um so etwas zu realisieren. Doch langfristig gesehen lohnt sich das.

Das ist unmöglich, das geht so nicht, das kann man doch nicht machen?

 

Dann suchen Sie doch mal John Lobb in London auf und versuchen Sie, sich mal eben ein Paar Maßschuhe anfertigen zu lassen. Gerne können Sie Schuhe aus dem Regal erwerben, doch für Maßschuhe werden Sie höflich und bestimmt darauf verwiesen, einen Termin zu vereinbaren. Sie kommen erst gar nicht in den Bereich in dem es darum geht, die Füße zu vermessen. Bei Dolzer Maßkonfektionäre ist das anders. Hier hat man ein anders System, ein anderes Geschäftsmodell, andere Kunden und natürlich auch eine andere Geschichte.

Fazit: Was bei dem einen passt ist für den anderen kein Ansatz.

Ein weiteres Beispiel ist das Brautmodengeschäft Cynderella’s Welt in Bad Lauterberg. Hier bekommt man tolle, ausgefallene und extravagante Brautmoden. Allerdings nur, wenn man a) einen Termin vereinbart (das Geschäft hat keine regulären Öffnungszeiten) und b) man bereit ist, Geld für die Anprobe-Session zu bezahlen (wird beim Kauf angerechnet). Sie sehen — es geht. Man muss es nur klar kommunizieren und breite Schultern haben, um dazu zu stehen. 

Gesamtfazit: Wenn ein Online- oder Offlinegeschäft unter Beratungsklau leidet, dann sollte man den gesamten Verkaufsraum und die Verkaufsstrategie näher untersuchen. Jeder Supermarkt, jedes Einkaufszentrum und jedes Casino in Las Vegas hat seinen Aufbau, seine Struktur und sein System. Wenn Kunden also ein Geschäft betreten, sich umschauen und nicht kaufen, dann liegt es nicht immer nur am Angebot und fast nie am Preis, sondern meist fehlt es einfach an einem System, das Kunden erreicht, emotional einbindet und zum Abschluss führt.

Noch einmal — alles auf Anfang!

Viele gute Ideen haben, anschauen was in anderen Branchen funktioniert (und was nicht) und testen, testen, testen. Darauf läuft es am Ende immer hinaus. Es gibt wie eingangs geschrieben keine Patentlösung, um alle individuellen Herausforderungen mit universellen Lösungen zu bedienen. Wenn also ein Geschäft, egal ob online oder offline, von Anfang an darauf aufgebaut ist, dass potenzielle Kunden ins Geschäft kommen, sich beraten lassen und vielleicht kaufen, dann braucht es niemanden zu wundern, wenn genau das passiert.

Vielleicht haben Sie nun schon eine kleine Idee oder zumindest den Funken einer Vorstellung davon, wie Sie Ihr Geschäft umstellen müssen, um so gezielt Interessenten von Un-Interessenten zu trennen. Machen Sie bitte etwas draus und haben Sie den Mut und das Durchhaltevermögen, um Kunden auch mal höflich aber bestimmt zurückzuweisen. Kunden, die wirklich kaufen wollen (und können!), die kommen wieder und kaufen auch. Sie müssen Sie ja nicht brutal vor den Kopf stoßen, unhöflich oder arrogant sein – darum geht es nicht, und das ist natürlich auch nicht Sinn und Zweck der Übung. Seien Sie bitte lieber immer höflich, bestimmt und konsequent. Machen Sie Ihr Ding zu Ihren Konditionen und vor allem, testen, testen, testen Sie systematisch was für Sie, Ihr Unternehmen und Ihre Kunden funktioniert, und was nicht.

Bei all dem, seien Sie immer KUNDISCH, denken Sie mit dem Herzen, geben Sie alles und vor allem, machen Sie es gut.

Ihr Marc Perl-Michel
Fokusveränderer.
Neuer Fokus! Neue Ideen!